Erlenbach, 10. Juni 2003
"Lage für Gemeinden nicht kalkulierbar" (Vortrag Hermann Rind)
Kreis Miltenberg. »Die Lage ist für Gemeinden längst nicht mehr kalkulierbar«. Mit diesem Satz hat der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages Hermann Rind seine These zur Finanznot der Kommunen beim liberalen Stammtisch in Erlenbach deutlich gemacht. Der Steuerberater aus Schweinfurt ist einer der Initiatoren der Kommission Liberale Gemeindefinanzreform, die vor drei Wochen in Berlin ihr Konzept vorgelegt hat, mit dem die Kommunen aus ihrer finanziellen Notlage befreit werden sollen.
Einnahmen aus der Gewerbesteuer für die Gemeinden seien nahezu unkalkulierbar geworden, was jede kontinuierliche Haushaltsführung erschwere, sagte Rind bei der Vorstellung des Konzepts in Erlenbach. Während vor zwei Jahren Giebelstadt mit 4,2 Millionen Einnahmen kalkuliert habe, dann aber 15,3 Millionen erhielt, habe sich Schweinfurt mit 21,8 Millionen zufrieden geben müssen - sieben Millionen weniger als das ungleich kleinere Marktheidenfeld. »Die Gewerbesteuer ist eine im internationalen Vergleich nahezu unbekannte Sonderbelastung für die Unternehmen in Deutschland. Sie wirkt wettbewerbsverzerrend, weil Exporte belastet und Importe nicht belastet werden«, heißt es im vorgelegten Papier, und ist einer der Hauptgründe dafür, dass die Liberalen die Gewerbesteuer vollständig abschaffen wollen.
Keinen Zweifel ließ Rind daran, dass den Kommunen gleich hohe, regelmäßige und berechenbare Ersatz-Einnahmequellen erschlossen werden müssten. Als Vorzüge des FDP-Konzepts nannte er, dass es seriös durchgerechnet sei und dass keine Steuererhöhungen die Wirtschaft belasteten.
Die exakte Berechnung der Kommission listet detailliert auf, wie der Einnahmeverlust von 24,5 Milliarden Euro im Jahr 2001 durch den Wegfall der Gewerbesteuer für die Gemeinden vollständig ausgeglichen werden könnte. Zentrale Punkte sind: Durch den Wegfall kommt es zu Mehreinnahmen bei Einkommenssteuer, Körperschaftssteuer, Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag bei Bund und Ländern in Höhe von knapp sieben Milliarden. Dazu soll der Anteil, der den Kommunen an der Umsatzsteuer zusteht, drastisch erhöht werden, von derzeit 2,2 auf 12 Prozent, was Mehreinnahmen von etwa 13,5 Milliarden Euro pro Jahr für die Gemeinden bringen würde. Die Einführung einer Kommunalsteuer, einem Zuschlagsrecht der Gemeinden auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer, ist ebenfalls vorgesehen. Damit würde auch der gewünschte Wettbewerb zwischen den Gemeinden gestärkt, da jede Kommune den Steuersatz selbst festlegen könnte. Die Kommunalsteuer soll den bisherigen Anteil der Gemeinden am Einkommenssteueraufkommen ersetzen, wodurch der Steuertarif abgesenkt werden könnte. Demnach wird es keinerlei Steuererhöhung geben.
Große Parteien blocken ab
Rind gab offen zu, dass derzeit das Modell der FDP in der politischen Praxis kaum echte Realisierungschancen hat: »SPD und CDU/CSU halten trotz aller Schwächen - oft wider besseres Wissen - nach wie vor an der Gewerbesteuer fest«. Ein Gegenargument von dieser Seite wischte Rind überzeugend vom Tisch: die angeblich mangelnde Administrierbarkeit der Reform. »In den Zeiten einer ausgefeilten EDV kann es kein Problem mehr sein, den kommunalen Hebesatz auf den Steuerkarten eintragen zu lassen, wenn das bis zum 30. Juni eines Jahres geschieht. Ein halbes Jahr Vorlaufzeit muss auf jeden Fall reichen.«
Weit wichtiger nahm der Referent Einwände von Zuhörern in Erlenbach. Die fürchteten beispielsweise, dass die Konkurrenz unter den Gemeinden über den Hebesatz zu Problemen führen könnte und vermuteten, dass vor allem kulturelle Projekte gefährdet sein könnten, wenn Bürgerinnen und Bürger am eigenen Geldbeutel merkten, wie teuer Vorhaben der Gemeinden sind. Solche Ängste sollen bei der Konkretisierung des Konzeptes berücksichtigt werden.
Am Ende stimmten die Zuhörer Kreisrat Dr. Heinz Linduschka zu, der formulierte: »Ich habe in meiner Arbeit als Kommunalpolitiker kaum einmal einen FDP-Vorschlag mit so viel Freude zur Kenntnis genommen, wie dieses Konzept zur Gemeindefinanzreform. Die Transparenz der Einnahmen und Ausgaben wird gesteigert und damit auch das Problembewusstsein bei den Bürgern und die Ausgabendisziplin bei den Gemeinden. Wenn sich Vernunft durchsetzt, dann wird auf Dauer kein Kommunalpolitiker um eine Beschäftigung mit unserem Konzept herum kommen. Aber offenbar muss uns das Wasser erst bis zum Hals stehen, bis was passiert!«